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Aktuelles

Wer Kirchgeld zahlt, hilft helfen.

1985 - 1994

Erinnerungssplitter aus den Jahren 1985 - 1994 (aufgezeichnet von Pfr. i. R. Gotthard Malbrich)

Kirche Südseite vor 1985
Bei Dienstantritt im Sommer 1979 in Reichenbach gab ich mich der Hoffnung hin, baulich sei wohl alles bestens bestellt.

Der Alltag entblätterte vieles. Am auffälligsten sichtbar wurde der bedrohliche Zustand an der hölzernen Taufe von 1682, dem ältesten Ausstattungsstück nach dem Stadtbrand von 1670. Wohlwissend, dass eine Restaurierung fast unbezahlbar war, musste etwas geschehen.

Im Sommer 1981 verstarb ein angesehener Bürger der Stadt. Dessen Witwe vermachte uns aus seinem Nachlass eine größere Geldsumme. Der Gemeindekirchenrat (GKR) bestimmte diesen Betrag zur Restaurierung der Taufe. Damit war ein erster, kleiner Schritt getan. Bis zur Umsetzung gingen dann Jahre ins Land. An der Kirche waren bei Begehungen längst umfangreiche Schäden am Gebälk, der Dachhaut und am Gewölbe entdeckt worden. Neben dem kirchlichen Bauamt wurde dies auch dem staatlichen gegenüber, dem Rat des Kreises mit dem Kreisbaudirektor und der für Kirchenfragen zuständigen Referentin der Abt. Inneres vorgetragen. Am 17. Oktober 1985 war es soweit: Acht Vertreter der Kirche und des Staates trafen sich zu einer Baubesichtigung der St. Johanneskirche. In einer Niederschrift des Bauamtes ist festgehalten: "KBR Swoboda weist bei der Begehung auf die von außen sichtbaren umfangreichen Schäden im Bereich der Dächer und in den Traufbereichen hin, die bereits zu einer Gefährdung des Gebäudes geführt haben. Anschließend erfolgt Besichtigung des Kirchendaches und des Innenraumes. An den Südseiten sind im Bereich der Kehlen Durchfeuchtungen mit Putzabplatzungen und im Chor Ablösungen der Gewölbekappen von den Außenwänden festzustellen, die sich nach Auskunft von Pfr. Malbrich in den letzten Jahren erheblich vergrößert haben. In der nachfolgenden Beratung wird festgestellt, dass eine Instandsetzung der Kirche dringlich ist und mit einem konzentrierten Einsatz von Baukapazität zu bewältigen ist. Wegen der vom Kirchturm ausgehenden Gefährdung der darunterliegenden Dächer muss dieser in einem ersten Bauabschnitt instand gesetzt werden, obwohl die größten Schäden am Chor Südseite bestehen."

Mehr als eine Absichtserklärung lag nach Abschluss der Beratung nicht vor. Denn es mussten nicht nur Betriebe vom Kreis beauflagt werden, auch der Rat des Bezirkes Dresden, Bezirksbauamt und Dr. G. Lewerenz, Sektorenleiter für Staatsrecht in Kirchenfragen, hatte seine Zusage zu geben und Baubilanzen, d.h. damals staatlich zugesagte Bauleistungen zur Verfügung zu steilen. Dachdeckerleistungen konnten vom Kreis nicht zugesagt werden, weil es keine Dachdecker mehr (!) gab. Kirchlicherseits wurden Dachsteine als Materialzulieferung und das kircheneigene Gerüst in Aussicht gestellt.


Der eingerüstete Turm der St. Johanneskirche 1987

Im Jahr 1987 sollte begonnen werden. Schon damals wies ich darauf hin, dass dies für das 1988 anstehende 750jährige Stadtjubiläum ein würdiger Auftakt wäre. Nun erfolgten die Vorarbeiten wie detaillierte Schadensermittlung, Konzeption der konstruktiven Sicherung und denkmalpflegerische Zielstellung. Fristgemäß wurde die Bauanmeldung beim Kreisbauamt für 1987 vorgenommen.

In der denkmalpflegerischen Zielstellung vom 9. Juli 1986 des Hauptkonservators Dr. H. Magirius aus Dresden, heißt es u. a.: "Der Kirchenbau ist eine romanische Saalkirche ... Der jetzige platt geschlossene Chor stellt eine Erweiterung des romanischen Zustandes in gotischer Zeit dar ... Am Bau erhielten sich ungewöhnlich große Partien romanisch gespritzten Putzes ..., es ist darauf zu achten, dass in allen Bauteilen Partien dieses Putzes stehen bleiben und konserviert werden ... Der Bau soll einen hellen Silikatanstrich erhalten."

Tatsächlich konnte im Frühjahr 1987 mit dem Turm als 1. Bauabschnitt begonnen werden. Ungelöst jedoch war die Frage der Dachdeckerkapazität. Das Vorhaben drohte daran zu schei­tern. denn auch staatlicherseits konnte nicht geholfen werden. Aus kirchlichen Restbeständen wurden mittlerweile Dachpfannen für den Turm freigegeben. ohne zu wissen. ob diese passen würden. Wieder einmal musste. wie zu DDR-Zeiten üblich "Vitamin B", die Beziehung. alles richten und so war Bezirksschornsteinfegermeister Hans Friedrich, aus Görlitz der rettende Engel. der ab August einige Wochen auf dem Kirchturm an der Arbeit war, ein rechtes Puzzle-Spiel. Zuvor aber standen wir noch vor einer schwer lösbaren Frage: Woher nehmen wir die zur Neudeckung nötigen Dachsteine? Sie in der DDR aufzutreiben, auch nur in geringer Stückzahl. erschien aussichtslos. Bemühungen des kirchlichen Bauamtes, diese aus Westdeutschland zu importieren. führten ebenfalls zu nichts. Dann jedoch geschah ein Wunder. Denn mindestens 90% der Ziegel von 1756 konnten wiederverwendet werden. Nur die Reihen an der Traufe tragen Steine von "heute". Dies ist aber von unten nicht erkennbar.


Aufsetzen der gesamten neuen Turmspitze

In Kupferschmiedemeister Zasel aus Görlitz fanden wir den Mann. der den alten Knauf in Ordnung brachte und eine neue Wetterfahne. dem alten Vorbild von 1646 gleich, anfertigte. Malermeister Rimpl aus Löbau nahm die Vergoldung vor. Am Reformationstag (31.10.) wollte der GKR die neue Turmspitze aufsetzen. Bei herbstlichem Sonnenschein versammelte sich sonnabends die Gemeinde auf dem Kirchplatz und beging das Ereignis mit einer Andacht, einem Bausachstandsbericht und dem Verlesen der Dokumente, die in zwei Schatullen in den Knauf zu den alten aufgefundenen gelegt wurden. Ca. 80 Gemeindeglieder unterschrieben diese Dokumente mit. (Gesamtausgaben: 1. Bauabschnitt ca. 36.000 Mark der DDR)


Am Reformationstag 1987: Verbringen der Dokumente in die Turmkugel durch Pfr. G. Malbrich

Im Jahre 1986 hatte Reichenbach schon Besuch, eine kleine Gruppe des Rotary-Clubs Recklinghausen. Ein Mitglied dieses Clubs hatte Andreas Böer auf einer Synode einer westlichen EKU-Kirche kennengelernt. 6 Personen, unter ihnen Pfr. Twelsiek hatten den Wunsch, DDR-Wirklichkeit fernab von Berlin, dem Ost-Schaufenster zu erleben. Unsere Gäste zeigten sich sehr interessiert und ließen durchblicken, sie würden uns gern bei der Sanierung der Kirche helfen. Ihr Wort, oder besser, das eines Mannes, wurde eingelöst. Durch großzügige Unterstützung von Karl-Ludwig Schweißfurth, erhielten wir im Frühsommer 1988 Baumaterial, so u. a. die gesamten Dachziegel für das Langschiff und einen Bauaufzug, der in den Folgejahren unschätzbare Dienste leistete. Herrn Schweißfurth heute und hier zu danken ist mir eine besondere Freude. Im Frühjahr 1988, noch rechtzeitig vor dem festlichen Begehen des 750-jährigen Stadt Jubiläums, konnte der Turm gestrichen werden, dazu das Zifferblatt, auch wenn wir derzeit nicht an eine Reparatur der Uhr denken konnten. Blitzschutz musste eingebaut werden und noch vieles andere, dessen Notwendigkeit uns oft erst im Vollzug bewusst wurde.Im Laufe des Jahres 1988 konnte die Taufe zur Restaurierung nach Dresden gegeben werden. Bis nach der Währungsunion wurde in den dortigen Werkstätten daran gearbeitet (Kosten bis 30.06.1990 ca. 7.000 Mark, nach dem 01.07.1990 über 9.000 nun DM). Bei der damals unsicheren Finanzlage der Gemeinde mussten wir die Weiterarbeit einstellen. Da aber bot sich mein Vetter an, der in München eine staatlich anerkannte Fachakademie für Holzrestauration leitete und uns gerne helfen wollte. Dieses Angebot nahmen wir gerne an und brachten mit einigen Fahrten die zerlegte Taufe von Dresden nach München. Seit dem Herbst 1995 ist sie kostenlos restauriert wieder in Reichenbach. Auch hier sei ein herzlicher Dank ausgesprochen. Solch unerwartete Hilfe von außen spornt natürlich an.


Die Gemeinde deckt das Dach ihrer Kirche

Damit die Arbeiten auf dem Kirchendach an Gebälk und Mauerwerk getan werden konnten, mussten viele Tonnen Schutt beräumt werden. Arbeitskräfte waren knapp, also wurde zur Selbsthilfe aufgerufen. Ab 1988 gab es vom Sommer bis in den späten Herbst hinein freiwillige Arbeitseinsätze. Älteste, Gemeindeglieder und die Junge Gemeinde waren mittwochs ab 16.30 Uhr auf dem Kirchplatz zu finden. Es war eine schöne und auch bereichernde Arbeitsgemeinschaft, die uns persönlich näher brachte. Bis Ende 1992 wurde in 6 Bauabschnitten die Außensanierung des Kirchgebäudes betrieben. Fast am Ende dieser Arbeiten, man hatte mit der Außensanierung an der Nordseite begonnen und wanderte gegen den Uhrzeigersinn weiter, gab es durch Zufall eine wichtige baugeschichtliche Wiederentdeckung. Die Maurer fanden im Frühherbst 1992 beim Abschlagen des Putzes an der Ostwand der Sakristei eine zugemauerte romanische Fensteröffnung. Es wurde der Auftrag erteilt, das Mauerwerk herauszulösen und die nun sichtbar gewordene Fensteröffnung blind stehen zu lassen. Damit ist zumindest erkennbar, dass der älteste Bauteil der Kirche, vermutlich der erste Kirchenraum, die heutige Sakristei, romanischen Ursprungs ist.

War zu DDR-Zeiten die Geldbeschaffung zweitrangig, die Materialbeschaffung jedoch zentrales Problem, so änderte sich dies mit dem 03.10.1990 schlagartig. Jetzt hing alles davon ab, ob und wie viel Gelder ausgereicht werden konnten. Dankenswerterweise wurden unserem Objekt 1992 reichlich staatliche Fördermittel zur Verfügung gestellt, auch die eigene Kirche stand nicht zurück, so dass die umfangreichen Baumaßnahmen erfolgen konnten, ohne Schulden machen zu müssen.


Blick in die Sakristei vor der Sanierung (1997)

Schon 1992 fanden auch Sicherungsarbeiten im Chorraum statt, daneben auch denkmalpflegerische Untersuchungen am Mauerwerk durch Dipl. Restaurator Frank-Michael Heidrich aus Görlitz, der alte rötliche Bemalungen im Chorraum und an der Altargiebelfront ausmachte. Das Restauratorenehepaar Anke und Jan Großmann aus Dresden war wochenlang mit der Untersuchung von Farbfassungen und der dringenden Anobienbekämpfung am Altar beschäftigt. Vor dem Abschiedsgottesdienst am 10.04.1994 hatten wir die alten Zinnleuchter, m. W. die ältesten beweglichen Stücke in der Kirche von 1674, in einer Fachwerkstatt in Meißen überholen lassen.

So schied ich 1994 aus der Gemeinde mit dem Wunsch: "Möge die Gemeinde immer neu sich ausrichten auf den, der die Mitte der Kirche ist und bleibt: Jesus Christus. Johannes auf dem Schalldeckel der Kanzel bleibt Richtungsgeber. "


Blick auf die Kirche vor 1985


Blick auf die Kirche nach der Außensanierung 1988

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